Noch gestern wusste der für Spionageabwehr zuständige Verfassungsschutz nichts von etwaigen Späh-Aktivitäten von Seiten der US-Geheimdienste gegen die Bundesregierung - so erklärte es zumindest dessen Chef. Nun hat Wikileaks heute einen Teil entsprechender Dokumente veröffentlicht.
Aus diesen geht hervor, dass die NSA bei weitem nicht nur etwas am Handy der Kanzlerin herumgeschnüffelt hat. Eine ganze Liste mit Telefonnummern aus verschiedenen Ministerien liegt nun vor - inklusive der dazugehörenden Abhör-Protokolle, berichtet der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, die in größerem Umfang Zugang zu den Dokumenten erhielten. Vor allem das Wirtschafts-, das Finanz- und das Landwirtschaftsministerium standen demnach unter einer intensiveren Beobachtung - was ein recht klares Indiz für Wirtschaftsspionage darstellt.
NSA-Protokolle der Bundesregierung
Auf der Liste sind mehrere Nummern zu finden, die heute noch aktiv sind. Datiert ist sie auf den Zeitraum zwischen 2010 und 2012. Allerdings gehen die Überwachungsmaßnahmen deutlich weiter zurück. Belegen lässt sich dies zumindest bis zum Ende der 1990er Jahre. Denn eine Nummer ist mit "Finance. Min. Lafont" gekennzeichnet. Oskar Lafontaine war in den Jahren 1998 und 1999 Bundesfinanzminister. Unter der Nummer meldet sich heute das Vorzimmer seines aktuellen Amtsnachfolgers Wolfgang Schäuble.
Es ist davon auszugehen, dass die fraglichen Funktionen, die in der Zeit seitdem mit unterschiedlichen Personen besetzt waren, durchgängig abgehört wurden. Und auch hinsichtlich der Intensität, mit der die NSA Bundeskanzler belauschte, wird deutlich. So gibt es bei den US-Spionen wohl nicht nur den Anschluss des Parteihandys von Angela Merkel, sondern verschiedene Nummern. In den Abhörprotokollen ist beispielsweise einiges zu früheren Gesprächen zu finden, bei denen es um die Verhandlungen mit Griechenland ging.
Das fragliche Gespräch fand am 11. Oktober 2011 statt. Von einer Reise nach Vietnam aus hatte die Bundeskanzlerin in dieser Zeit immer wieder telefonisch Fragen zur europäischen Politik gegenüber Griechenland diskutiert. Sie sei "ratlos", hörten die NSA-Spitzel aus dem Gespräch heraus. Die Kanzlerin war sich zu dieser Zeit unsicher, welche Variante man am besten verfolgen sollte.
Neben den Nummern von Ministerien finden sich in den Listen auch solche von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Und nicht nur Telefon- sondern auch Fax-Anschlüsse wurden offenbar ausspioniert.