Ein gravierender Fehler beim Andockmanöver sorgt für wenig Aufregung
NASA-Ingenieur James Oberg war zwei Jahrzehnte bei der NASA beschäftigt und hatte sich unter anderem in Bezug auf Weltraum-Rendezvous einen Expertenstatus erarbeitet. Jetzt warnt der Weltraum-Veteran im Ruhestand in einem Gastbeitrag in Spectrum, dass die ISS jüngst wegen eines Fehlers einer Katastrophe näher war als jemals zuvor. Das russische Modul Nauka hatte am 29. Juli an der ISS angedockt, kurze Zeit später dann aber aus bisher unbekannten Gründen seine Triebwerke gefeuert. Durch die Verbindung mit der Station wurde natürlich auch diese ungeplant bewegt.
Das russische Nauka-Modul nähert sich der ISS
Doch das war nur der Anfang des Szenarios, das Oberg für hochproblematisch hält: Die ISS war zum Zeitpunkt des unkontrollierten Feuerns der Triebwerke nicht in Reichweite von russischen Bodenstationen. "Niemand wusste, dass Nauka das Triebwerk zündete, bis die NASA schließlich eine leichte, aber zunehmende Verschiebung der Ausrichtung der ISS feststellte", so der Experte. Wenige Minuten später wurde das erste Mal in der Geschichte der Raumstation ein "Raumschiff-Notfall" ausgerufen.
Während im Kontrollzentrum über Lösungen debattiert wurde, wie die richtige Orientierung ohne strukturelle Schäden wiederhergestellt werden kann, hatte das automatische Lageregelungssystem der ISS bereits die Zündung von weiteren Triebwerken ausgelöst, um die registrierten Abweichungen zu kompensieren - und damit automatisiert Tatsachen geschaffen. Die Lage der Station konnte aber erst nach rund einer Stunde zuverlässig kontrolliert werden, als das Modul Nauka seine Treibstoff-Reserven aufgebraucht hatte.
Raumstation ISS












So geht das nicht
Für Oberg spiegelt sich der Ernst der Lage aber nicht in den Aussagen der Verantwortlichen wider: "Während die unmittelbare Ursache des Vorfalls noch nicht geklärt ist, gibt es besorgniserregende Anzeichen dafür, dass die NASA möglicherweise einige der Fehler wiederholt, die zum Verlust der Raumfähren Challenger und Columbia und ihrer Besatzungen geführt haben." Aus seiner Sicht habe sich bei der NASA wieder eine "Mentalität der Selbstzufriedenheit und des Hoffens auf das Beste" verbreitet."Die Sicherheit des Systems wird eher vorausgesetzt als überprüft - und so werden Manager dazu verleitet, Anhaltspunkte zu übersehen oder unvorsichtige Entscheidungen zu treffen, die zu einer Katastrophe führen", so Oberg in seiner Analyse. Wie der Experte betont, habe die NASA den Zyklus hin zu einer generellen Unvorsichtigkeit in den letzten Jahrzehnten mehrmals durchlaufen, "mit schrecklichen Folgen".